ein Mann in einer Halle© J. Kö­nigs

Im For­schungs­feld zwi­schen Sport und Wis­sen­schaft

von Julia Kö­nigs

Im For­schungs­feld zwi­schen Sport und Wis­sen­schaft

Auf ein Ge­spräch mit Pro­fes­sor Kai Graf im Wind­ka­nal an der FH Kiel

Auf den ers­ten Blick wirkt der Wind­ka­nal auf der obe­ren Platt­form in der rie­si­gen Werk­hal­le der FH Kiel un­schein­bar: Vor einem brei­ten Rohr, das an der Öff­nung mit hel­len La­mel­len be­deckt ist, sind auf einer run­den Platt­form zwei Schiffs­mo­del­le auf­ge­baut – ein Ka­ta­ma­ran und ein Con­tai­ner. Das kann man erst er­ken­nen, wenn der Wind­ka­nal in Ak­ti­on kommt.

Ein Ven­ti­la­tor im Rohr si­mu­liert den Wind, der auf die bei­den Schif­fe trifft, unter den Mo­del­len misst eine Mess­waa­ge alle Strö­mungs­kräf­te, die der Wind auf das Schiff aus­übt, und die klei­nen La­mel­len las­sen sich so stark ver­schie­ben und bie­gen, dass sie eine ganz spe­zi­el­le Wind­strö­mung si­mu­lie­ren kön­nen. „So einen hoch­gra­dig spe­zia­li­sier­ten Wind­ka­nal kann man nicht ein­fach kau­fen“, sagt Pro­fes­sor Kai Graf, der am In­sti­tut für Schiff­bau auf dem Ge­biet der Strö­mungs­me­cha­nik lehrt. „Wir haben ihn vor zwölf Jah­ren kom­plett selbst­ge­baut.“

Ein­zig­ar­ti­ge Mess­tech­nik des Win­des  

Schiff­bau­er, Ma­schi­nen­bau­er, Fein­werk­tech­ni­ker und Me­cha­tro­ni­ker der FH taten sich zu­sam­men und bau­ten in multi­dis­zi­pli­nä­rer Ar­beit nicht nur den Wind­ka­nal, son­dern auch das hoch­ge­naue Dy­na­mo­me­ter, das den Wind­ka­nal an der FH Kiel so ein­zig­ar­tig macht. „Diese Mess­waa­ge ist wirk­lich ein High­light“, so Graf. „Sol­che Wind­ka­nä­le gibt es höchs­tens vier-, fünf­mal auf der Welt.“

Eine wei­te­re Be­son­der­heit des Wind­ka­nals sei die Twisted Flow Tech­nik. „Twisted Flow steht für ein Cha­rak­te­ris­ti­kum des Win­des, den wir hier er­zeu­gen. Stel­len Sie sich vor, Sie ste­hen unten vor einer Kir­che. Dort weht nur ein laues Lüft­chen. Ste­hen Sie aber auf dem Kirch­turm, win­det es ziem­lich kräf­tig. Das be­deu­tet, dass die Wind­ge­schwin­dig­keit hö­hen­ab­hän­gig ist“, er­klärt Graf das Prin­zip an einem an­schau­li­chen Bei­spiel. Be­zo­gen auf die Schif­fe heiße dies, dass bei­spiels­wei­se das Segel einer Yacht eine Strö­mung ab­be­kommt, die von der Ge­schwin­dig­keit des Win­des und der Höhe ab­hängt. Daher werde das Schiffs­mo­dell vom Wind­ka­nal durch die ge­bo­ge­nen La­mel­len schräg von unten an­ge­strömt.

Sind für einen Ver­such fünf Tage vor­ge­se­hen, wer­den vier Tage zur Vor­be­rei­tung des Mo­dells be­nö­tigt. Nach einem be­stimm­ten Sche­ma wer­den Segel, Ge­rüst und Un­ter­grund ge­baut. Das ak­tu­el­le Ka­ta­ma­ran-Mo­dell ist für eine olym­pi­sche Se­gel­sport­kam­pa­gne ent­stan­den. Für den fi­na­len Ver­such wurde das Mo­dell in eine be­stimm­te Stel­lung zum Wind aus dem Ven­ti­la­tor ge­bracht, an­ge­strömt und durch eine Mes­sung am PC be­glei­tet. „Über den Mo­ni­tor wer­den Mo­dell, Wind und Mess­tech­nik an­ge­steu­ert“, er­läu­tert Graf.

Mit dem Wind­ka­nal die Re­gi­on stär­ken

Ent­wi­ckelt wurde der Wind­ka­nal, der im Be­sitz des For­schungs- und Ent­wick­lungs­zen­trums Fach­hoch­schu­le Kiel GmbH ist, im Rah­men eines eu­ro­päi­schen För­der­vor­ha­bens. Das Zen­trum ad­mi­nis­triert Tech­no­lo­gie­trans­fer­dienst­leis­tun­gen der Hoch­schul­leh­ren­den für die In­dus­trie. Durch das Be­stre­ben des Zen­trums wurde der Wind­ka­nal ge­för­dert, um den Se­gel­ma­chern der Re­gi­on Kiel diese Tech­no­lo­gie zur Ver­fü­gung zu stel­len. „Se­gel­ma­che­rei­en be­nö­ti­gen den Kanal, um ihre Segel zu tes­ten“, er­klärt Graf. Seit­dem kön­nen Kie­ler Se­gel­ma­cher und auch Ak­teu­re aus dem Se­gel­sport ge­mein­sam mit den Leh­ren­den und Stu­die­ren­den des Fach­be­reichs Ma­schi­nen­we­sen am Wind­ka­nal for­schen.

Die For­mel 1 des Se­gel­sports: FH Kiel mit­ten­drin

Be­son­ders in Sport­kam­pa­gnen, wie die Auf­trä­ge aus dem Se­gel­sport ge­nannt wer­den, konn­te in den letz­ten Jah­ren an der Ent­wick­lung der Schif­fe mit­ge­wirkt wer­den. „Dazu ge­hö­ren sogar Auf­trä­ge vom Ame­ri­ca’s Cup, dem Volvo Ocean Race, der Jules Verne Tro­phy…quasi die For­mel 1 des Se­gel­sports“, zählt Graf auf. „Für Fans des Se­gel­sports also die Events. Wer hier ein­mal mit­ar­bei­ten kann…“ Span­nen­de Mög­lich­kei­ten, die den Stu­die­ren­den und Leh­ren­den der FH Kiel bei die­ser Nut­zung des Wind­ka­nals ge­bo­ten wer­den. „Wann immer es mög­lich ist, bin­den wir Stu­die­ren­de in die lau­fen­den Pro­jek­te mit ein“, be­tont Graf. „Sie haben Zu­gang zum Wind­ka­nal und kön­nen hier auch an ihren Stu­di­en­ar­bei­ten fei­len. Ma­chen sie aber bei den Kam­pa­gnen mit, kön­nen sie auch be­zahlt wer­den.“

Pro­fes­sor Graf ist ak­tu­ell im Be­reich der Se­gel­yach­ten dritt­mit­tel­ak­tiv, eine gute Aus­gangs­la­ge in Kiel als Sai­ling City. Seine Kol­le­gen be­fas­sen sich mit Wind­ener­gie­an­la­gen und sogar mit Zel­ten. Alle Ver­su­che wer­den durch das be­son­de­re Cha­rak­te­ris­ti­kum des Twisted Flow un­ter­sucht und haben Vor­tei­le ge­gen­über an­de­ren Ver­su­chen auf der Welt. „Ich habe ein paar Kol­le­gen in Mai­land, South Hamp­ton, Auck­land und Ma­ry­land, die einen ähn­li­chen Ver­suchs­auf­bau haben. Kiel reiht sich in einen hohen Welt­stan­dard ein“, sagt Graf.

Was ihn am Se­geln und sei­nen Ver­su­chen so be­geis­tert? Se­geln sei an­ge­wand­te Strö­mungs­me­cha­nik, so der Pro­fes­sor. „Wenn man als In­ge­nieur im Se­gel­sport un­ter­wegs ist, dann hat man den be­son­de­ren Vor­teil, dass die Theo­rie der Strö­mungs­me­cha­nik so un­mit­tel­bar an­ge­wandt wird.“ Alles, was man in der Lehre theo­re­tisch er­klä­re, könne man so­fort auf dem Was­ser ab­bil­den. Er schät­ze auch die lange Ver­suchs­zeit für be­stimm­te Pro­jek­te der Sport­kam­pa­gnen. „Un­se­re Er­geb­nis­se müs­sen in Re­gat­ten in den ein­schlä­gi­gen Sport­events dann zei­gen, dass das rich­tig war, was wir ge­macht haben. Diese nahe Ver­bin­dung von Sport und Wis­sen­schaft macht die­ses For­schungs­feld ein­zig­ar­tig.“

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