Roboter Charlie im Einsatz im Pflegezentrum Travetal© Dia­ko­nie Nord Nord Ost

Hu­ma­noi­de Ro­bo­ter kön­nen Ge­sund­heit von Pfle­ge­be­dürf­ti­gen ver­bes­sern

von Mi­cha­el Fi­scher

Der Ein­satz von hu­ma­noi­den Ro­bo­tern in Pfle­ge­hei­men kann die men­ta­le und phy­si­sche Ge­sund­heit der Be­woh­ner*innen ver­bes­sern: Das ist ein Er­geb­nis des mehr­jäh­ri­gen Pi­lot­pro­jekts „RO­BUST“ („Ro­bo­tik-ba­sier­te Un­ter­stüt­zung von Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung in sta­tio­nä­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen“). Im Pro­jekt haben der Ver­band der Er­satz­kas­sen e. V. (vdek), die Fach­hoch­schu­le (FH) Kiel, die Ge­sell­schaft für di­gi­ta­li­sier­te und nach­hal­ti­ge Zu­sam­men­ar­beit Sie­gen (DNZ), zwei voll­sta­tio­nä­re Pfle­ge­ein­rich­tun­gen der Dia­ko­nie in Schles­wig-Hol­stein sowie zwei Ein­rich­tun­gen der Ge­mein­nüt­zi­gen Ge­sell­schaft der Fran­zis­ka­ne­rin­nen zu Olpe in Nord­rhein-West­fa­len zu­sam­men­ge­ar­bei­tet.

„Die Ro­bo­ter kamen bei den pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen er­staun­lich gut an und haben bei ihnen zu po­si­ti­ven Ver­än­de­run­gen ge­führt. Wir sind froh, dass sich die tech­ni­sche In­no­va­ti­on in der Pra­xis be­wei­sen konn­te“, sagt Clau­dia Straub, Lei­te­rin der vdek-Lan­des­ver­tre­tung Schles­wig-Hol­stein. Der vdek hat das Pro­jekt ma­ß­geb­lich fi­nan­ziert.

Bei RO­BUST ging es um die Frage, ob die men­ta­le und kör­per­li­che Ge­sund­heit von Pfle­ge­be­dürf­ti­gen durch die Un­ter­stüt­zung sol­cher Ro­bo­ter ge­stärkt wer­den kann. Zu­nächst ent­wi­ckel­te das Pro­jekt­team von FH Kiel und DNZ um Pro­jekt­lei­ter Prof. Dr. Jens Lüs­sem ge­mein­sam mit den Mit­ar­bei­ter*innen der be­tei­lig­ten Pfle­ge­ein­rich­tun­gen Ein­satz­sze­na­ri­os für die Ro­bo­ter. Da­nach be­gann die Ar­beit vor Ort. Den Ro­bo­ter drei­mal pro Woche in das An­ge­bot der je­wei­li­gen Pfle­ge­ein­rich­tung zu in­te­grie­ren, be­deu­te­te für die Be­treu­ungs­kräf­te zu­nächst eine große Um­stel­lung. „An­fangs gab es Be­rüh­rungs­ängs­te bei ei­ni­gen in un­se­rem Team. Doch nach und nach wurde allen klar, dass unser Ro­bo­ter ‚Char­lie‘ keine Kon­kur­renz, son­dern eine sinn­vol­le und ent­las­ten­de Er­gän­zung ist“, er­klärt Jutta Tand­ler. Die Pro­jekt­ver­ant­wort­li­che im Pfle­ge­zen­trum Tra­vetal der Dia­ko­nie Nord Nord Ost in Lü­beck hat den Pra­xis­test in allen Pha­sen eng be­glei­tet. „Un­se­re Se­nio­rin­nen und Se­nio­ren waren von Char­lie schnell be­geis­tert. Sie emp­fin­den ihn als Be­rei­che­rung und ma­chen bei den Be­we­gungs­übun­gen, zu denen Char­lie sie mo­ti­viert, eben­so gerne mit wie bei der Be­ant­wor­tung von Quiz­fra­gen.“

In der Lang­zeit­un­ter­su­chung über drei Jahre er­fass­te das Pro­jekt­team mehr­mals Pra­xis­er­fah­run­gen in In­ter­views und Grup­pen­dis­kus­sio­nen sowie mit Be­ob­ach­tungs­pro­to­kol­len. Ein Er­geb­nis: Die meist­ge­nutz­te App war die­je­ni­ge mit Be­we­gungs­übun­gen, ge­folgt von der Juke­box mit über 100 Schla­gern sowie klas­si­scher Musik und der Quiz-App. „Mit den Er­fah­rungs­wer­ten aus der Pfle­ge­ein­rich­tung konn­ten wir die Ro­bo­tik-Apps kon­ti­nu­ier­lich wei­ter­ent­wi­ckeln und das An­ge­bots­spek­trum des Ro­bo­ters ver­bes­sern“, er­klärt Prof. Lüs­sem. „Be­son­ders her­aus­for­dernd war die In­te­gra­ti­on der un­ter­schied­li­chen Sicht- und Ar­beits­wei­sen sowie die kon­kre­te For­mu­lie­rung der An­for­de­run­gen und deren Um­set­zung an die Ro­bo­ter unter Be­ach­tung ethi­scher Richt­li­ni­en und da­ten­schutz­recht­li­cher Rah­men­be­din­gun­gen.“

Eine Be­son­der­heit von RO­BUST war die acht­wö­chi­ge quan­ti­ta­ti­ve Un­ter­su­chung, um die ge­sund­heits-för­der­li­chen As­pek­te bei den Be­woh­nen­den zu mes­sen. „Char­lie und die an­de­ren Ro­bo­ter konn­ten die Se­ni­or*innen so­wohl kör­per­lich als auch ko­gni­tiv ak­ti­vie­ren. Der Ein­satz stei­ger­te nach­weis­lich das Wohl­be­fin­den bei den Be­woh­ner*innen der Pfle­ge­ein­rich­tun­gen. Die Teil­neh­mer*innen hat­ten Spaß an dem Ro­bo­ter, sie be­weg­ten sich mehr und fühl­ten sich we­ni­ger ein­sam“, zieht Prof. Dr. Gaby Lenz, Pro­fes­so­rin für So­zia­le Ar­beit an der FH Kiel, das wich­tigs­te Fazit aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht.

Auch Do­re­en Bo­nia­kow­sky, Ge­schäfts­be­reichs­lei­tung Pfle­ge der Dia­ko­nie Nord Nord Ost, be­wer­tet das Pro­jekt als Er­folg: „In un­se­rem Pfle­ge­zen­trum Tra­vetal ist Ro­bo­ter Char­lie mitt­ler­wei­le fes­ter Be­stand­teil der Wo­chen­pla­nung und be­rei­chert unser An­ge­bot für die Se­nio­rin­nen und Se­nio­ren. Vor­ge­se­hen ist, Char­lie auch in un­se­ren an­de­ren vier Lü­be­cker Pfle­ge­ein­rich­tun­gen ein­zu­set­zen und somit das Be­treu­ungs­an­ge­bot in die­sen Häu­sern zu er­wei­tern.“ Wäh­rend der Pi­lot­pha­se ist es der Dia­ko­nie Nord Nord Ost ge­lun­gen, Spen­den­gel­der in Höhe von 20.000 Euro zu sam­meln, um statt des zu­nächst ge­lie­he­nen Ro­bo­ters einen ei­ge­nen an­zu­schaf­fen.

Zum Ab­schluss des Pro­jekts haben die Be­tei­lig­ten eine Hand­rei­chung er­stellt, in der sie die Er­kennt­nis­se aus RO­BUST ver­öf­fent­li­chen. Da­durch kön­nen auch Ein­rich­tun­gen, die nicht am Pi­lot­pro­jekt be­tei­ligt waren, sich aber nun für den Ein­satz eines hu­ma­noi­den Ro­bo­ters in­ter­es­sie­ren, von dem Pro­jekt pro­fi­tie­ren. Der voll­stän­di­ge Ab­schluss­be­richt wird zeit­nah on­line ver­öf­fent­licht.

Hin­ter­grund

Laut Amt­li­cher Pfle­ge­sta­tis­tik ist die Zahl der Pfle­ge­be­dürf­ti­gen in Schles­wig-Hol­stein von 2021 bis 2023 um 12,5 Pro­zent ge­stie­gen. Sogar um 18 Pro­zent – auf gut 5.200 Per­so­nen – wuchs in die­ser Zeit der An­teil der Per­so­nen in teil­sta­tio­nä­rer Pfle­ge (Ta­ges­pfle­ge). Ent­spre­chend steigt auch der Be­schäf­tig­ten­be­darf in der Pfle­ge: Selbst bei kon­ser­va­ti­ven An­nah­men wer­den in Schles­wig-Hol­stein bis zum Jahr 2030 rund 9.000 Pfle­ge­kräf­te mehr be­nö­tigt als noch im Jahr 2020.Zu­wen­dungs­emp­fän­ge­rin und ver­ant­wort­lich für die Pro­jekt­ab­wick­lung und Ko­or­di­nie­rung ist die For­schungs- und Ent­wick­lungs­zen­trum Fach­hoch­schu­le Kiel GmbH (FuE-Zen­trum FH Kiel).

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