Ein Mann© J. Kläschen

En­er­gie­wen­de: Trans­pa­renz mo­ti­viert, nach­hal­ti­ge Lö­sun­gen zu ent­wi­ckeln

von Joa­chim Kläschen

Hin­ter dem Schlag­wort ‚En­er­gie­wen­de‘ ver­birgt sich ein kla­res Ziel: Deutsch­land soll sei­nen En­er­gie­be­darf bis zum Jahr 2050 kom­plett aus er­neu­er­ba­ren En­er­gi­en de­cken. Wie die­ses Ziel er­reicht wer­den soll, lässt sich al­ler­dings nicht so klar be­ant­wor­ten. „Es ist vor allem eine Preis­fra­ge“, weiß Prof. Dr. An­dre­as Luczak, der am Fach­be­reich In­for­ma­tik und Elek­tro­tech­nik Stu­die­ren­den ver­schie­de­ner Fach­be­rei­che die kom­ple­xe Ge­menge­la­ge ver­ständ­lich macht, die sie in ihrem Be­rufs­le­ben be­glei­ten wird. „Es ist le­dig­lich klar, dass die En­er­gie­wen­de eine teure An­ge­le­gen­heit ist. Wie teuer sie schlie­ß­lich wird, das hängt von vie­len Stell­schrau­ben ab, die In­ge­nieu­rin­nen und In­ge­nieu­re ken­nen soll­ten.“

Früh im Stu­di­um ver­sucht Luczak Stu­die­ren­de mit einem Ex­pe­ri­ment für die Kom­ple­xi­tät des The­mas En­er­gie­wen­de zu sen­si­bi­li­sie­ren: „In einem ers­ten Schritt sol­len die an­ge­hen­den In­ge­nieu­rin­nen und In­ge­nieu­re ihren CO2-Fu­ß­ab­druck er­mit­teln. Das be­deu­tet her­aus­zu­fin­den, wie viel CO2 sie mit ihrem ge­gen­wär­ti­gen Le­bens­stil ver­brau­chen. Schon das sorgt bei vie­len für eine Über­ra­schung, denn wir alle pro­du­zie­ren mehr CO2, als wir an­neh­men. In einem zwei­ten Schritt ver­su­chen die Stu­die­ren­den, eine Woche lang ihr Leben um­zu­stel­len, mit dem Ziel, ihren CO2-Aus­stoß zu re­du­zie­ren. Ei­ni­gen ge­lingt mit gro­ßen An­stren­gun­gen eine Re­du­zie­rung um die Hälf­te. Das ist ein tol­les Er­geb­nis, das zeigt, wie viel Ein­zel­ne durch Ver­hal­tens­än­de­run­gen bei­tra­gen kön­nen.“

Doch alle per­sön­li­chen An­stren­gun­gen rei­chen nicht aus, um CO2-neu­tral zu wer­den. Denn wir alle ver­wen­den öf­fent­li­che In­fra­struk­tur, fah­ren auf Stra­ßen und Rad­we­gen, deren Bau CO2 pro­du­ziert, neh­men die Diens­te von Feu­er­wehr und Müll­ab­fuhr in An­spruch, die mit Ver­bren­ner-Fahr­zeu­gen un­ter­wegs sind, und be­su­chen Schu­len und Sport­hal­len, die be­heizt wer­den müs­sen – all das spielt in eine sol­che per­sön­li­che CO2-Rech­nung mit hin­ein – zeigt aber auch das große Op­ti­mie­rungs­po­ten­zi­al. Dabei geht es dem Pro­fes­sor nicht um Schel­te. „Die Stu­die­ren­den sol­len ver­ste­hen, dass die En­er­gie­wen­de ein kom­ple­xes Un­ter­fan­gen ist, bei dem viele Fak­to­ren eine Rolle spie­len. Es gibt kei­nen Kö­nigs­weg.“

Den Stu­die­ren­den wird laut An­dre­as Luczak früh klar, dass nicht nur die ein­zel­nen As­pek­te, son­dern auch deren Ab­fol­ge in die En­er­gie­wen­de und deren Kos­ten hin­ein­spie­len: „Tausch­te heute jeder sein Ver­brenner­fahr­zeug gegen ein E-Auto, wür­den die CO2-Emis­sio­nen eher an­stei­gen, denn wir er­zeu­gen in Deutsch­land bei wei­tem nicht genug, um über­haupt die be­reits vor­han­de­nen Strom­ver­brau­cher zu ver­sor­gen. Vor der flä­chen­de­cken­den E-Auto-Ver­sor­gung müss­ten also zu­nächst Wind­kraft und Pho­to­vol­ta­ik mas­siv aus­ge­baut wer­den, um aus­rei­chend grüne En­er­gie für die Mo­bi­li­tät be­reit­stel­len zu kön­nen.“ Al­ler­dings wird die Au­to­mo­bil­in­dus­trie kaum ge­dul­dig war­ten, bis es so­weit ist.

Dass Deutsch­land es schaf­fen kann, sei­nen En­er­gie­hun­ger aus er­neu­er­ba­ren En­er­gi­en zu de­cken, ist sich Luczak si­cher. Un­si­cher ist al­ler­dings, wie teuer das Un­ter­fan­gen wird. Un­ab­ding­bar dabei ist ein stark er­höh­ter Aus­bau der Pho­to­vol­ta­ik und der Wind­kraft, was aber mit einer Ab­sa­ge an den Min­dest­ab­stand von 1.000 Me­tern, der zwi­schen Wind­kraft­an­la­gen und Wohn­ge­bäu­den be­stehen muss, ein­her­ge­hen würde. Aber kaum einer möch­te aus dem Kü­chen­fens­ter auf eine 5-Me­ga­watt-An­la­ge bli­cken. Auch eine Ver­la­ge­rung der Wind­kraft­an­la­gen auf das Meer taugt nicht als All­heil­mit­tel, da das dort vor­han­de­ne Po­ten­zi­al auf­grund der Be­schrän­kun­gen durch die ma­ri­ti­me Fauna und die Schiff­fahrt bei wei­tem nicht aus­reicht.

Doch hätte man schlie­ß­lich all die be­nö­tig­te er­neu­er­ba­re En­er­gie er­zeugt, schlös­se sich gleich ein wei­te­res kom­ple­xes Pro­blem an: Um diese En­er­gie flä­chen­de­ckend zu ver­tei­len, be­dürf­te es eines Aus­baus des Strom­net­zes. Spä­tes­tens das ist ein As­pekt, bei dem län­der­über­grei­fend ge­dacht und ge­plant wer­den muss. Und auch hier stel­len sich Preis­fra­gen, wie die nach un­an­sehn­li­chen Strom­tras­sen, teu­ren un­ter­ir­di­sche Lei­tun­gen oder dem aus wirt­schaft­li­chen Grün­den be­wuss­ten Ver­zicht auf einen ge­wis­sen Pro­zent­satz an grü­ner En­er­gie, wel­cher zu ge­wis­sen Zei­ten ab­ge­re­gelt wer­den muss. Die Stu­die­ren­den aus ver­schie­den Fach­be­rei­chen ler­nen in den Mo­du­len von Prof. Dr. An­dre­as Luczak, dass die Ent­schei­der be­hut­sam ver­schie­de­ne Sze­na­ri­en ab­wä­gen und Pa­ra­me­ter par­al­lel jus­tie­ren müs­sen, um die En­er­gie­wen­de mög­lichst schnell, aber auch be­zahl­bar zu rea­li­sie­ren.

So schlie­ßt sich dann die Frage an, wie die En­er­gie­wen­de fi­nan­ziert wer­den soll, ohne die Men­schen über Ge­bühr zu be­las­ten. Klar ist für Luczak nur eines: „Es gibt keine Al­ter­na­ti­ve zum Han­deln, denn ein ‚wei­ter so‘ kön­nen wir uns nicht er­lau­ben – und nicht leis­ten. Und dabei geht es gar nicht in der ers­ten Linie um Deutsch­land. Ich bin mir si­cher, dass unser Land Wege fin­den wird, uns zu un­se­ren Leb­zei­ten mit den Fol­gen des Kli­ma­wan­dels zu ar­ran­gie­ren. Es geht aber bei die­sem The­men­feld auch um eine mo­ra­li­sche Ver­pflich­tung an­de­ren Re­gio­nen in der Welt ge­gen­über. Es geht um un­se­re Ver­ant­wor­tung für kom­men­de Ge­ne­ra­tio­nen. Die jet­zi­gen In­ves­ti­tio­nen in den Kli­ma­schutz er­spa­ren der Welt­be­völ­ke­rung ein Viel­fa­ches an spä­te­ren Fol­ge­kos­ten des Kli­ma­wan­dels.“

Doch bei all den er­nüch­tern­den Fak­ten, gibt sich Luczak stets hoff­nungs­voll: „Der Kli­ma­wan­del ist ein schlei­chen­der Pro­zess, der sich auf un­se­re all­täg­li­che Le­bens­welt nur wenig spür­bar aus­wirkt. Die Zeche zah­len vor allem erst un­se­re nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen in 100 und mehr Jah­ren. Die Po­li­tik denkt je­doch nicht in sol­chen Zeit­räu­men, da geht es um Wahl­pe­ri­oden und un­mit­tel­bar greif­ba­re Pro­ble­me vor Ort. Aber die Co­ro­na-Krise ver­an­schau­licht, wozu die Po­li­tik im An­ge­sicht einer kon­kre­ten Ge­fahr in der Lage ist. Da wer­den kurz­fris­tig al­lein in Deutsch­land etwa 200 Mil­li­ar­den Euro mo­bi­li­siert, um eine töd­li­che Ge­fahr ab­zu­wen­den. Das zeigt, dass die Ge­sell­schaft durch­aus dazu be­reit sein könn­te, viel­leicht we­nigs­tens 20 Mil­li­ar­den Euro jähr­lich zu­sätz­lich in die En­er­gie­wen­de zu in­ves­tie­ren. Und auf lange Sicht wür­den sich diese In­ves­ti­tio­nen auch rech­nen, denn die ir­repa­ra­blen Fol­ge­schä­den wer­den er­heb­lich teu­rer, ab­ge­se­hen von den wirt­schaft­li­chen Im­pul­sen, die die En­er­gie­wen­de Deutsch­land bie­tet“, pro­gnos­ti­ziert Luczak.

Wich­tig ist An­dre­as Luczak, dass den Stu­die­ren­den Fak­ten und Pa­ra­me­ter be­kannt sind, damit sie sich eine fun­dier­te Mei­nung bil­den kön­nen. „Ein­fa­che Lö­sun­gen sind ge­fähr­lich und oft kon­tra­pro­duk­tiv. Es ist naiv zu hof­fen, die For­schung würde in ein paar Jah­ren eine uni­ver­sel­le Lö­sung für alle Pro­ble­me prä­sen­tie­ren. Auch die jüngs­te Idee, es lie­ßen sich in kür­zes­ter Zeit in afri­ka­ni­schen Wüs­ten So­lar­far­men auf­stel­len, die uns zu­ver­läs­sig mit grü­nem Was­ser­stoff ver­sor­gen, er­scheint wenig rea­lis­tisch. Sol­che Vi­sio­nen ber­gen die Ge­fahr, dass sie als Vor­wand miss­braucht wer­den, sich nicht mehr den Her­aus­for­de­run­gen stel­len zu müs­sen, die sich dabei er­ge­ben, wenn man die im ei­ge­nen Land vor­han­de­nen Po­ten­zia­le kon­se­quent nutzt. Und auch der An­satz, man könne doch ein­fach mehr re­ge­ne­ra­ti­ven En­er­gie er­zeu­gen, um dar­aus grü­nes Ke­ro­sin her­zu­stel­len, damit wir ein­fach wei­ter­ma­chen kön­nen wie bis­her, ver­schweigt oft die damit ver­bun­de­ne bit­te­re Wahr­heit, dass sich die Ti­cket­prei­se da­durch in etwa ver­dop­peln wür­den und Flie­gen da­durch zu­künf­tig nicht mehr für so viele so leicht er­schwing­lich wäre.

Vor allem ver­sucht der Pro­fes­sor sei­nen Stu­die­ren­den zu ver­deut­li­chen, wie die un­ter­schied­li­chen Fak­to­ren in­ein­an­der­grei­fen. „Wenn die Stu­die­ren­den die kom­ple­xen Zu­sam­men­hän­ge ver­ste­hen, und wenn sie er­fas­sen, wie Po­li­tik, Ge­sell­schaft, Wirt­schaft und Wis­sen­schaft in der Frage mit­ein­an­der ver­zahnt sind, haben sie einen kla­re­ren Blick und ver­ste­hen, dass es nicht ein­fach um ‚rich­tig‘ oder ‚falsch‘ geht, wenn sie als In­ge­nieu­rin­nen und In­ge­nieu­re Zu­kunft ge­stal­ten. Das ist für viele manch­mal etwas er­nüch­ternd, aber Re­si­gna­ti­on spüre ich unter den Stu­die­ren­den nicht. Im Ge­gen­teil: Ge­ra­de Trans­pa­renz und nach­voll­zieh­ba­re Fak­ten sind für viele eine Mo­ti­va­ti­on, bes­se­re und nach­hal­ti­ge­re Lö­sun­gen zu ent­wi­ckeln.“

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